Teil eines Lebensnetzes

 

Der titelgebende Entrepreneur deines Stückes überschreibt sein Unternehmen den Mitarbeiter*innen. Die Produktionsmittel liegen fortan in den Händen der Beschäftigten. Seit der Gründer der Outdoor-Marke Patagonia etwas durchaus Vergleichbares unternommen und seine Firma an gemeinnützige Stiftungen übertragen hat, erscheint Derartiges durchaus denkbar. Was hat für dich diese Idee, die im Stück vieles ins Rollen bringt, angestoßen?

 

Ich habe seit etwa zwei Jahren Kontakt mit einem ehemaligen Industriellen, der bereits in den 1980er-Jahren einen Großteil seines Vermögens einer Stiftung überschrieben hat, die damit unter anderem alternative Schulen betrieben hat. Ich wollte von ihm wissen, was ihn zu diesem Schritt bewogen hat, Vermögen wegzuschenken, und wie seine Familie damit umgegangen ist. Dann habe ich angefangen zu fabulieren. Enteignungsdebatten wurden ja während der Pandemie wieder salonfähig. Aber meine Idee, mal den umgekehrten Fall einer Enteignung anzuschauen, den der Selbst-Enteignung, konnte ich inspiriert von diesen persönlichen Berichten zunächst glaubhaft skizzieren und dann nach und nach in Form einer Familiengeschichte, die auch die Geschichte einer Firma ist, ausbuchstabieren. Dabei war es sehr wertvoll, das anfängliche Figurengerüst während mehrerer Lockdown-Spaziergänge mit der Regisseurin Nora Schlocker besprechen zu können und die nächsten Schritte zu wagen, d.h. Figuren zu schreiben, die diese Trendwende nun am eigenen Leib erfahren.

 

Der Entrepreneur löst in der Firma und in seinem Umfeld eine Welle der Veränderung aus, aber im Laufe des Stücks wird deutlich, dass diese an mehreren Orten auftritt und Teil eines größeren Gestaltungsprozesses ist. Könnte man sagen, dass der Unternehmer selbst von einem globalen Wandel überholt wird?

 

Ich bin vorsichtig geworden, von einem globalen Wandel zu sprechen oder globale Gesetzmäßigkeiten erkennen zu wollen. Ich halte pragmatische Ansätze, welche wir, die wir in einem krisengeschüttelten Pluriversum leben, in ihrer Verschiedenheit erleben, für glaubhafter als die alles umspannende Metaerzählung. Pragmatismus hält mich davon ab, Dinge, die ich selbst befürworte, hochzuskalieren. Dennoch kann ich das Begehren nach einem globalen Wandel nachvollziehen und mich davon auch ein Stück weit mitreißen lassen. Im Stück versuche ich mir vorzustellen, wie diese Selbst-Enteignung als Form einer freiwilligen Kollektivierung aussehen könnte, wenn dies kein Einzelfall bleibt und erst recht keine hippieske oder autonome Rückzugsinsel, sondern sozusagen Hand in Hand mit der öffentlichen Hand sowie transnational verläuft. Was du als Überholvorgang bezeichnest, könnte sich auch gesetzlich niederschlagen: Dem Artikel 14 (2) «Eigentum verpflichtet» würde der Zusatz «Auch zu Kollektiveigentum» hinzugefügt. Das wäre dann deutlich mehr als Schneeschippen auf dem Bürgersteig.

 

Im Stück verändern sich die politischen Strategien und Subjekte fundamental. Gleichzeitig erfahren wir, dass sich vielmehr die Welt radikal verändert: Extreme Wetterphänomene häufen sich, der traditionell beforstete Wald hält den gestiegenen Temperaturen nicht stand, Menschen fliehen aufgrund der klimatischen Bedingungen, es mangelt phasenweise an Energie und Wasser, die Wirtschaft ist in einer Post-Wachstumswirklichkeit angekommen. Reagieren die Figuren und Politiken im Stück auf den Wandel, oder nehmen sie ihn vorweg?

 

Vor einigen Jahren konnten wir mit Narrativen wie «der flexible Mensch» oder «das unternehmerische Selbst» noch vortäuschen, dass wir zeitlebens mehrere Leben und Identitäten haben können und dementsprechend durch akkumulierte, individuelle Einzelleistungen auch bahnbrechende Innovationen lostreten können. Nun wirft uns dieses Hyperobjekt namens Klimakrise auf dem Zeitstrahl in eine demütige Haltung gegenüber zeitlichen Maßen, mit denen sich das Klima und auch die Lebensfähigkeit auf dieser Erde überhaupt berechnen lassen können. Mit uns meine ich in der Mehrzahl Menschen des globalen Nordens, die strukturell am meisten zum verheerenden Extraktivismus des gegenwärtigen Zeitalters beigetragen haben. Diese zeitlichen Maße entsprechen nicht einer oder mehreren menschlichen Lebenslängen. Die Klimakrise trotzt der neoliberalen Subjektivierung und lässt sich sozusagen auch nicht in einem Mehrgenerationenroman bewerkstelligen. Das weiß der Entrepreneur im Stück, was ihn aber nicht davon abhält zu handeln.

 

Die Handlung in «Der Entrepreneur» überspannt einen Zeitraum von gut zwanzig Jahren. Du entwirfst darin eine Utopie, die sich ganz erstaunlich wirklich und real anfühlt. Wie würdest du diese besondere Form des Utopischen bezeichnen und beschreiben?

 

Ich spreche mit Bini Adamczak von einer konkreten Utopie. Womit Utopien gemeint sind, die keine Reinheit oder Makellosigkeit verströmen, etwa in Raum oder Zeit getrennt vom Heute und mit merkwürdig neuen Menschen bestückt. Konkret ist diese Utopie, weil ich – um ein Bild aus «Bladerunner» zu nehmen – sozusagen um die Ecke gucken kann, hinter der der Mensch gerade noch stand. Den Menschen, denen ich nun beim Abbiegen zuschauen kann, haftet noch der gestrige Schaden an. Die Menschen sind beschädigt kreativ, keinesfalls neue Menschen. Sie bringen Deformationen mit, Zweifel, Überforderung, ihnen ist das Ruinöse ins Gesicht geschrieben, aber auch das Leben selbst in seiner permanenten und mannigfaltigen Verwandlungsfähigkeit. Das macht sie schön. Sie verwelken und erblühen zur gleichen Zeit und mit der Zeit.

 

Du zeichnest diese Utopie auf eine ganz kunstvoll subtile Weise. Das Bild der Zukunft entsteht indirekt, indem die Figuren ihre ganz konkrete, veränderte Wirklichkeit beschreiben. Ist dieser indirekte Blick notwendig, damit wir uns in der Zukunft als wirksam, nicht als paralysiert, sondern als aktiv verändernd denken können?

 

Ja. Vielleicht noch mit dem Zusatz, dass wir unseren Anthropozentrismus verabschieden können. Wir können zwar (und sicher nicht alle gleich) Verantwortung übernehmen für den Schaden, aber nicht wir Menschen allein sind es, die es nun wieder hinbiegen müssen, wenn wir uns mehr und mehr als Teil eines Lebensnetzes verstehen. Wir können den Natur-Kultur-Dualismus aufgeben, damit wir uns nun nicht erneut in Heldenpose werfen, eine von uns getrennte «Natur» zu retten. Die «Ongoingness» des Lebens ist auch nicht tröstlich, sondern gegeben.

 


Die ungekürzte Version dieses Textes finden Sie im Programmheft zu «Der Entrepreneur», erhältlich an der Theaterkasse, in den Foyers oder als Onlineversion zum Download hier.