Bitteres Land
Dramaturg Ewald Palmetshofer über Asiimwe Deborah Kawes Schauspiel «Das Gelobte Land».
Es ist der Neujahrstag 2018, kurz nach Mitternacht. Seit fünfzehn Jahren lebt Achen, die Hauptfigur von Asiimwe Deborah Kawes Schauspiel als Migrantin ohne Aufenthaltsstatus in den USA. Als Teilnehmerin eines Universitätsseminars über «HIV und reproduktive Gesundheit von Frauen in Subsahara-Afrika» ist sie 2002 aus Uganda in die USA eingereist. Danach hat sie die Vereinigten Staaten nicht mehr verlassen. Kat, eine junge, weiße Amerikanerin aus dem Organisationsteam des Seminars, hat damals vergeblich in der Hotellobby auf Achen gewartet, um sie zurück zum Flughafen zu bringen. Seither hat Achen mit aller Kraft und unter dem Radar der Behörden versucht, sich ein Leben im Land der Verheißungen aufzubauen. Sie ist eine von zahllosen, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben eingewanderten, hart arbeitenden Personen, die im Care-Sektor ohne Papiere und zu ausbeuterischen Löhnen schwerkranke oder alte US-Amerikaner*innen zuhause pflegen. Nach dem Scheitern einer kurzen Beziehung schlägt sich die ausgebildete Krankenschwester Achen als Alleinerziehende eines kleinen Sohnes von Pflegejob zu Pflegejob. Die Kluft zwischen dem realen Ist-Zustand und der Verheißung, die im Stücktitel anklingt (im englischsprachigen Original «The Promised Land»), ist niederschmetternd. Doch nach und nach wendet sich das Blatt. Nach weiteren Stationen zieht Achen mit ihrem Sohn schließlich von Kalifornien nach Texas – ausgerechnet. Dort, im Bundesstaat mit seiner Grenze zu Mexiko, kommt es zu einer schicksalhaften Wiederbegegnung: Achen trifft auf Kat, auf die Frau, der sie damals in der Hotellobby entwischt ist.
Kat ist die zweite Hauptfigur in Asiimwe Deborah Kawes Stück. Der bisher skizzierte chronologische Handlungsverlauf täuscht. Die Dramatikerin hat ihr Stück nämlich als Parallelmontage zweier Frauenbiografien konzipiert. Und diese könnten nicht unterschiedlicher sein. Während Achen einer Journalistin gegenüber versucht, schlaglichtartig ihr Leben in den USA nachzuerzählen, ringt Kat in einer Art Geständnis um ihre eigene Lebenserzählung. Und es ist, als hätte die Dramatikerin Kawe mit ihrem Stück ein Triptychon erschaffen: Auf den beiden Seitentafeln nimmt das Leben der einen bzw. anderen Frau Gestalt an. Dazwischen und erst nach und nach erscheint eine dritte, mittlere Bildtafel – diese bleibt allerdings nahezu leer. Was auf ihr erscheint, ist nur indirekt zu erschließen. Lediglich in Schemen ist zu erahnen, was sich trennend zwischen diese beiden Frauen geschoben hat – eine Fläche, auf der gebrochene Versprechen, zerstörte Lebensträume, unerfüllte Verheißungen, radikalisierte politische Rhetorik und schließlich das Ressentiment erscheinen. Ein bitteres Suchbild nach den Gründen für eine verhängnisvollen Tat.
In ihrem 2023 in deutscher Übersetzung erschienenen Buch «Hier liegt Bitterkeit begraben» beschreibt die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury das Ressentiment als wiederholtes Durch- und Nachleben einer vergangenen Szene sowie als Verhärtung und Verallgemeinerung der damit einhergehenden Emotionen. Fleury beobachtet diesen Prozess im einzelnen Individuum und auf gesellschaftlicher und politischer Ebene – das Vergiftende des Ressentiments wirkt im Privaten wie auch im Politischen. Asiimwe Deborah Kawe zeigt in ihrem Stück den persönlichen und gesellschaftlichen Ursprung des Ressentiments nur in Andeutungen. Auch Kat leidet unter einer Nicht-Realisierung des Verheißenen – doch auf andere Art. Kat ist zur Eiferin geworden – sowohl im politischen als auch im religiösen Sinn: Das Land wieder groß machen und die Seele auch. Im Hintergrund ist eine kalte Logik am Werk, als würde die Erfüllung der Hoffnung der einen ihre Erfüllung für die anderen bedrohen und zugleich den Wert dieser Hoffnung vermindern. Denn was wäre eine Verheißung noch wert, wenn sie allen gelten soll? Und das Ressentiment ist ein Rabbit Hole, ein emotionaler und kognitiver Tunnel, in dem nur von der Stelle kommt, wer den Weg der Verbitterung weitergeht. So könnte eine erste, tastende Beschreibung der mittleren Bildtafel lauten. Doch stattet Asiimwe Deborah Kawe ihre Figuren so detailreich aus, dass keine abschließende Erklärung oder Deutung ihrer Komplexität gerecht wird. Cynthia Fleury spricht vom bitteren Geschmack des Ressentiments und es ist ein bitteres Land, von dem Asiimwe Deborah Kawe in ihrem Stück erzählt.
Eine ungekürzte Version dieses Textes erschien in «Theater heute; Das Jahrbuch 2024»