Künstliche Intelligenz ermöglicht eine neue Bildästhetik beim «Götz von Berlichingen»

Ein Gespräch mit Videokünstler Oliver Rossol

Videokünstler Oliver Rossol im Gespräch mit Digitaldramaturg Ilja Mirsky über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bereich der Bildgenerierung bei Alexander Eisenachs Inszenierung des «Götz von Berlichingen».

 


 

Mit dem Einsatz von dem KI-Bildgenerator Midjourney bedienst du dich als Videokünstler der gleichen Technologie, die auch in den letzten Tagen vermehrt die deutsche Medienlandschaft aufgewirbelt hat. Wie bist du zu der Entscheidung gekommen dieses «kreative» Werkzeug als Videokünstler einzusetzen?

KI-gestützte Text- und Bildgenerierungsprogramme sind in den letzten Monaten größtenteils frei zugänglich geworden und so in den gesamtgesellschaftlichen Fokus geraten. In meinen Arbeitsprozess wuchs diese Technik schleichend rein. Bereits in der letzten Produktion am Residenztheater, «Der Schiffbruch der Fregatte Medusa», habe ich mithilfe der App «DREAM» erste Einsatzmöglichkeiten von Bildgenerierungsverfahren untersucht. Durch konkrete Stilvorgaben konnten Fotografien mit der Verwendung von Stichwörtern verändert und Bildelemente auch abgewandelt werden. So wurde beispielsweise aus einer Bohrinsel eine organische, an einen menschlichen Körper ähnelnde, Struktur im Meer. Die Verwendung von Bildgeneratoren zielt primär nur auf das Ergebnis, also das erzeugte Bild, ab. Während der Bildgenerierungsphase, die in der Regel mehrere Sekunden andauert, gibt es keinerlei Möglichkeiten, den Prozess zu beeinflussen oder zu verändern.

 


 

Lukas Rüppel als Götz von Berlichingen in drei KI-generierten Bildern. Das Originalfoto (oben links) wurde als Ausgangsbild durch die folgenden Texteingaben von der KI umgewandelt: Crying (respektive angry und confused), Medival art, Painting artwork; Midjourney Version 5

 

Wie verwendest du diese neuen Möglichkeiten in deiner Arbeit und worin besteht für dich als Videokünstler der Reiz dieser neuen Technologien?

Grundsätzlich sind für mich neue Techniken immer Mittel, um mein Repertoire als Videokünstler zu erweitern. Jede Theaterproduktion hat eine eigene DNA, die bestimmte stilistische Entscheidungen begrüßt und andere auch ablehnt. Wenn ich nach ersten Versuchen merke, dass eine bestimmte Technologie für die konkrete Produktion interessant sein könnte, versuche ich früh mit Skizzen und Beispielen dem Team zu vermitteln, was ich mir darunter ästhetisch vorstelle. Der hieraus entstehende Dialog mit dem künstlerischen Team bestimmt den weiteren Verlauf der Produktionsphase.
Für den «Götz von Berlichingen» ist ein wichtiges Element die Übersetzung einer historischen Realität auf der Theaterbühne. Anstatt auf einen bereits existierenden Bildkatalog historischer Werke zurückzugreifen, hat sich mir die Möglichkeit angeboten durch den Einsatz von KI neues Bildmaterial, dass eine mittelalterliche Ästhetik verfolgt, zu generieren. Dabei können das Ensemble, Orte und neue Ideen in diesen Bildkompositionsprozess einbezogen werden. Das ist theoretisch auch mit analogen Mitteln möglich: allerdings wäre ein Ölgemälde des Ensembles in Ritterrüstungen ein sehr aufwendiges Unterfangen. Die KI-Bildgenerierung mit Midjourney erlaubt mir diese Idee in wenigen Minuten umzusetzen. Mit dieser Flexibilität wird der Prozess für das gesamte künstlerische Team vereinfacht. Ideen können schnell umgesetzt, ausprobiert und wieder verworfen werden. Eine der größten Limitierungen bei dieser Art von Arbeit ist der Umstand, dass ich durch meine Vorgaben keine KI dazu bringen kann das Bild zu erzeugen, das ich vor meinem geistigen Auge sehe. Wenn es darum gehen soll eine Bleistiftzeichnung eines Apfels zu erzeugen, der wie der Apfel in meiner Vorstellung aussehen soll, gibt es keinen anderen Weg, als zum Bleistift zu greifen.

 

Es gibt mittlerweile unterschiedliche KI-Bildgenerierungsprogramme, zum Beispiel DALL-E von der US-Firma OpenAI, Stable Diffusion, ein Algorithmus, der an der LMU München entwickelt und Open Source, also frei zugänglich, veröffentlich wurde. Du hast das Programm Midjourney des unabhängigen gleichnamigen US-Forschungslabors gewählt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Midjourney ist ein Programm, das mich in seiner Flexibilität am meisten überzeugt hat. Ob Fotorealismus oder Kohlezeichnung, das Spektrum der Treffsicherheit ist beeindruckend. Außerdem ist es in meinem Arbeitsprozess wichtig, dass eigene Fotografien als Referenz direkt eingebunden werden können und diese auch zu einem hohen Grad im Ergebnis erkennbar sind. Midjourney hat mich in diesem Punkt überzeugt. Durch die Verwendung von Textanweisungen und eines Ausgangsbildes wird angepasst, welches Ergebnis das Programm ausgibt.


 

Vincent Glander als Bischof von Bamberg. Das Originalfoto (links) wurde als Ausgangsbild durch die folgenden Texteingaben von der KI umgewandelt: As medival bishop with long full hair in a cathedral, full body, cinematic, photorealistic; Midjourney Version 5

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Wie hat sich der Einsatz von Midjourney konkret auf den Produktionsprozess von «Götz von Berlichingen» ausgewirkt und hat sich die ursprüngliche Erwartungshaltung eingelöst?

Die Erwartungshaltung bei einem KI-Bildgenerator ist auf allen Seiten anfänglich sehr hoch. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt und sind es auf eine gewisse Weise auch. Im Produktionsprozess arbeitete ich mit Fotografien, die ich anfertigte und nutzte, um Motive zu erschaffen, die eine bestimmte Bühnensituation nachstellen. Zum Beispiel eine Impression aus einer Szene, die durch die KI-Bildgenerierung in Malerei aus dem 15. Jahrhundert übersetzt wurde. Midjourney nutzt die Referenz des Fotos und baut dieses nach meinen Vorgaben nach. Das Foto wird aber nicht direkt umgewandelt, sondern vom Programm «betrachtet» und mithilfe einer Bibliothek aus Referenzbildern erzeugt und abgeändert. Die Person, die auf den Bildern zu sehen ist, hat deshalb unter Umständen keine Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Person vom Originalbild. Es beginnt ein Prozess des Aussiebens und Optimierens. Die Fotografien müssen unter Umständen so inszeniert werden, dass Gesichter klar ausgeleuchtet werden, um markante Merkmale für die KI hervorzuheben. Für den «Götz von Berlichingen» habe ich in vier Wochen ungefähr 1600 Bilder erzeugt, von denen ca. 50 in der Produktion zu sehen sind. Der Zeitaufwand im Erzeugungsprozess bleibt identisch zu meinen anderen Arbeiten mit analogen und etablierten Techniken. Ergebnisse sind schnell vorhanden, aber das perfekte Resultat ist selten unter den ersten Versuchen dabei und kann ein paar hundert Bilder auf sich warten lassen.

 

Immer wieder wird über das Verhältnis zwischen KI und Kunstschaffenden diskutiert. Wie wurde durch die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz dein Verständnis als Videokünstler beeinflusst?


In der Kunst ist eine neue Technologie oder Methode per se eine Bereicherung. Ob und wie man sich selbst als Künstler dazu verhält ist bereits eine künstlerische Position. Ich sehe die KI als ein starkes Werkzeug, das mir hilft, meine Ideen besser umzusetzen. Gleichzeitig ist die Auseinandersetzung mit diesem Tool ein wichtiger Aspekt der Kunst, der in der Diskussion «KI vs. Kunstschaffende» oft nicht genannt wird. Der Dialog zwischen Kunstschaffenden und Kunstrezipient*innen, der durch ein Werk erzeugt wird, ist für mich das entscheidende Element. Ich kann Bilder von einer KI erzeugen lassen und trotzdem gleichzeitig über Intentionen, Prozesse und Erfahrungen sprechen, die dem Werk zugrunde liegen.