«ZEITALTER DER TOTALEN PERFORMANCE»

Dramaturgin Constanze Kargl im GESPRÄCH MIT PETERLICHT

Es gibt von dir vier Molière-Bearbeitungen, nämlich «Der Geizige», «Der Menschen Feind», «Tartuffe oder das Schwein der Weisen» und «Der eingebildete Kranke oder das Klistier der reinen Vernunft». Was interessiert dich an diesem Autor?
Molière ist ja der Inbegriff des Theaterschaffenden. Er schrieb seine Stücke und besetzte sein jeweiliges Alter Ego mit sich selbst. Er war Theaterdirektor in seinem Theater, zog umher mit seinen Leuten und brachte seine Stücke, also sich selbst auf die Bühne. Das kommt mir alles schon ziemlich bekannt vor, wenn ich mein Leben betrachte. Den ganzen Wahnsinn, die Weltzerfetzung, die er sich im Kopf ausdachte, vollstreckte er an seiner eigenen Existenz und rockte es an sich selbst runter auf der Bühne. Wenn es richtig überliefert ist, starb er sogar auf der Bühne. Also er brach dort zusammen und stand nie mehr irgendwo anders auf, nachdem man ihn von der Bühne weggeschafft hatte. (Wie soll man auch irgendwo anders noch mal aufstehen können, wenn man auf einer Bühne zusammenbrach?) Also wenn es alles richtig überliefert ist. Aber es ist ja egal, ob es richtig überliefert ist, es ist ja Theater.

Da ist natürlich jede Menge Popkultur drin. Vielleicht ist es das, was mich an Molière fasziniert. Ein Leben machen und es auf eine Bühne bringen. Das findet auch in dem Gewerbe statt, in dem ich unterwegs bin, wenn ich Lieder schreibe und Texte, wenn ich umherziehe und das dann auf Bühnen bringe. Und dieser Vorgang findet im übertragenen Sinne überall statt: Ein Leben machen und es auf eine Bühne bringen. In unserem kollektiven Bewusstsein, in unserem vernetzten virtuellen Sein, in unserem transzendenten verbundenen Social-Media-Mind. Überall. Dafür muss man beruflich kein Popsänger sein. Wir gestalten ein Bild des eigenen Lebens. Wir machen ein Design. Überall Popkultur. Vielleicht wird man unsere Zeit einmal kennzeichnen als die Phase, als jeder Greis und jedes Kleinkind die Möglichkeit und den Zwang entdeckte, ein Bild vom eigenen Leben zu designen. Das Zeitalter der totalen Performance. Und manchmal weiß man gar nicht, ob es nicht umgekehrt ist: dass also ein Leben auf die Bühne kommt, bevor es gemacht wurde. Also dass etwas ein Bild erhält, das noch gar nicht existent ist. Dass also Hohlräume auf die Reise geschickt werden, die wir uns ansehen. Oder Blasen. Und die dann das Bild unserer Welt definieren. Das fasziniert mich. Und wenn man vom Design des Bildes unseres Lebens spricht, dann ist man natürlich sofort bei der Frage, ob das Bild dem entspricht, was das Bild zeigt, also bei der Frage nach außen und innen, nach Wahrheit und Lüge. Also dann ist man beim Betrug. «Tartuffe oder Der Betrüger» heißt das Stück von Molière im Original.


Bei dir heißt es «Tartuffe oder das Schwein der Weisen».
Ja stimmt, bei mir ist mehr Schwein drin als Betrug. Eigentlich ist gar kein Tartuffe mehr drin. Also kein wortwörtlicher Molière. Ich finde, das hat der Molière nicht verdient, dass er nach 350 Jahren noch wort- oder plotgetreu irgendwo drin ist. Ich glaube, er käme sich verloren vor, wenn er nach all der Zeit in diesem Sinne noch irgendwo drin wäre, wenn er in einem Theater wäre. Ich glaube, er würde sich zu Tode langweilen oder kaputtlachen oder das, was er sähe, verhöhnen oder verhackstücken. Diese Arbeit habe ich ihm abgenommen. Ich denke, er ist mir dankbar dafür. Was interessieren uns heute die Betrügereien von 1664? Nichts. Ich habe deshalb beschlossen, mich um den Betrug von heute zu kümmern. Unseren Betrug. Meinen Betrug. Ich habe unsere Zeit ausgesaftet. Und kann nur hoffen, dass es ein süßer Saft geworden ist, der gut reinläuft. Das Alte hat im Theater keinen Bestand. Wir setzen uns ins Theater und nicht ins Museum. Alte Texte muss man zerstäuben. Man muss sie Wort für Wort zerreiben. Und den Plot verschleißen, dann entsteht wieder etwas, was da mal war. Vielleicht etwas im Sinne Molières. Oder auch nicht. Man weiß es nicht. Aber was kümmert mich der Molière? Der ist tot. Der wurde von einer Bühne runtergetragen, auf der er zusammenbrach. Der Arme. Ich hege große Sympathie für diesen Autor. Aber ich bin kein Historiker. Wort- oder Plottreue kann ihn auch nicht mehr retten.

 

Sind es eher nur Form und Grundidee der Komödien, die dich reizen – oder reicht deine Faszination tiefer in die Sittengemälde des 17. Jahrhunderts hinein?
Molière verkörpert für mich eine Auseinandersetzung mit Gesellschaft in einer Frühform von Moderne, in der eigentlich schon alles angelegt ist, was uns heute so umtreibt. Ich empfinde da eine starke Aktualität. Nur ist der Wald nicht so von lebenden Bäumen verstellt, sondern von morschen und umgefallenen. Man hat einen freieren Blick, es ist alles ein wenig entfernt, weil es eben 350 Jahre altes Material ist und man in eine vermeintliche Vergangenheit blickt. Das gefällt mir: die Kraft, die sich ergibt, wenn die Dinge immer schon so gewesen sind, wie sie heute noch sind.

 

Molières Komödie wurde nach ihrer Uraufführung verboten, da sich die einflussreiche katholische «parti des dévots» durch die Figurenzeichnung des Tartuffe angegriffen sah. Ist die Provokation und gesellschaftspolitische Sprengkraft aus heutiger Perspektive für dich nachvollziehbar?
Oh ja, das ist nachvollziehbar. Jede Zeit hat ihre Devotenpartei.


Molières Figuren sind in ein strenges Glaubenskorsett und eine autoritäre partriarchale Ordnung eingezwängt. Deine literarischen Nachfahren sind einem Übermaß an Freiheiten ausgeliefert. Würdest du dem zustimmen?
Ja. Es fällt schon schwer, noch einen Staat oder eine Moral zu entziffern, die die Einzelnen einhegen und ihre Triebe unterdrücken möchte. Man kann eher das Gegenteil feststellen. Es gibt nur noch die in der Luft schwebende verdammte Pflicht- und Schuldigkeit des individuellen Teilnehmers am Lebensmarkt, verdammt noch mal frei sein zu müssen und die Leistung zu erbringen, alles rauszuholen aus einem Leben. Wem das gelingt, der hat die Marke seines Lebens veredelt und zu einer Gewinnermarke developt. Wem es nicht gelingt, der ist durchgefallen und verschwindet vom Markt. Also übergibt sich dem Verliererstatus. Er hat keine Existenzberechtigung. Er hat kein sinnvolles Leben. Aber egal ob Gewinner oder Verlierer, alle sind gesegnet mit einem Übermaß an Stress und Erschöpfung, Hohlheit und Depression. Davor schützt einen ja auch das Gewinnen nicht. Obwohl es natürlich geiler ist zu gewinnen als unterzugehen, das ist klar. Aber trotzdem. Es gibt keinen Staat, keine Religion, keine Moral, die den Menschen wirklich unterdrückt. Das machen wir selber. Warum? Weil wir es wollen. Weil wir es von innen heraus wollen. Wir brennen von innen. Wir könnten es auch NICHT tun, klar, wir sind ja frei. Aber trotzdem. Wir wollen. Dieser Zwang ist stärker und effektiver als jeder Zwang von außen, als jedes repressive System. Die Repression von außen ist der Pression von innen gewichen. Danke lieber Kapitalismus, danke liebe Popkultur, merci beaucoup!

 

Orgon mangelt es eigentlich an nichts. Dennoch erscheint ihm die «hälftige Annäherung an eine mittlere Welt unattraktiv». Wie darf man das verstehen?
Orgon ist ein Mann der Mitte. Es ist irgendwie alles okay bei ihm. Es ist irgendwie alles da. Es gibt keinen Mangel. Okay, auch ihm würde noch was einfallen, was er haben wollte oder sein möchte. Okay. Will er aber nicht. Er hat sein Leben in die ungefährdete Mitte gesteuert. Hier residiert er in the middle of good life. Dort ist er nun. Er ist also die gestaltgewordene Zielvorstellung vom gelingenden Leben im Kapitalismus, vom gelingenden Leben im Zeitalter der Popkultur. Aber irgendwie, in der Mitte, dort spürt man nichts. Wie sollte man sich spüren in der Mitte von irgendetwas? Man braucht den Kontakt mit einem Rand, einer Kante, einer Wand, um seine Existenz zu spüren. Also dass man da ist. Man braucht den Kontakt mit dem Rand der Existenz, um seine Existenz zu spüren. Also macht sich Orgon auf und sucht nach was anderem. Er findet Tartuffe. Und den findet er total geil, weil der was anderes macht. Alle anderen aber finden Tartuffe total ungeil, weil er was anderes macht, denn sie machen ja nichts anderes, werden also gefährdet durch das Anders-Machen-von-was. Die gegenseitige Geil- und Ungeilfindung gefährdet die jeweilige Position der geil- und ungeil findenden Personen ... Also, du fragtest, wie man das verstehen darf? Wie soll ich es hier erklären? Ich glaube, das kann man erst verstehen, wenn man das Stück gesehen hat. Dann aber ist es ganz leicht. Deshalb empfehle ich es.


Oder anders gefragt: In welches Sinnvakuum stößt Tartuffe?
Er stößt vor in das warme weiche Innere des Sinns.


Tartuffe ist jemand, der hinter der Maske der Gottesfürchtigkeit und Tugend an monetären und sexuellen Bedürfnissbefriedigungen interessiert ist. Worin liegt sein Betrug?
Wenn ich das wüsste, dann wäre es ja einfach. Aber das ist ja gerade das Wesen des Betruges: dass man es nicht weiß. Wenn man es wüsste, wo und wie die Betrügereien von heute stattfinden, dann könnte man ihnen ja entkommen. Aber man weiß es nicht. Klar, wir alle wissen: Der große Betrüger von heute ist Donald Trump oder das Sinnversprechen des Kapitalismus oder das klima- und ressourcenvernichtende good life der Menschen auf diesem Planeten oder das Ungerechtigkeitssystem, das sich Weltwirtschaftssystem nennt. Das sieht jedes Kind. Das wissen wir alle. Das ist klar. Aber trotz dieser Offensichtlichkeit finden vor unser aller Augen und mit unser aller Beitrag Betrügereien von epochalem Ausmaß statt. Es ist offensichtlich, und trotzdem findet es statt. Das ist interessant. Dem Betrug ist die Heimlichkeit abhandengekommen, und trotzdem findet er statt. Das ist toll. Eigentlich funktioniert Betrug ja nur durch die Täuschung und eine falsche Vorstellung, die sich jemand macht. Heute gibt es aber keine falsche Vorstellung. Alle wissen, dass unser aller Lebensstil das Klima verhunzt und was sonst noch, trotzdem fliegen wir zum Baden nach Thailand, also ich, also wenn ich es mir leisten kann, also wir. Und fliegen dann wieder zurück und bedauern den gerade hinterlassenen CO2-Ausstoß, der über uns in der Atmosphäre verweht. Wir sehen ihm hinterher mit staunenden Kinderaugen und wundern uns. Und sind dagegen. Wir leben im Zeitalter der Groteske. Und irgendwas soll uns retten. Logik und Vernunft sind mechanistische Modelle, die anscheinend nicht funktionieren. Wir suchen irgendeine Art von Zauberei. Oder Alchimie. Wir suchen den Stein der Weisen. Nur Zauberei kann uns noch retten. Vielleicht ist der Pop die Zauberei. Der Präsident ist Pop. Politik ist Pop. Die Gesellschaft ist Pop. Die Hitze ist Pop. Der Hass ist Pop. Wir sind Alchimisten. Wir sind Liebende. Wir sind Optimierende. Wir sind Datenträger. Wir suchen den Stein der Weisen. Aber wir finden ihn nicht. Wir finden das Schwein der Weisen. Wir suchen. Wir finden: Probleme. Und es gibt eine eiserne Regel: Wenn man Probleme hat, hat man in der Regel mehr Probleme als keine.


Das ist der Refrain des Liedes «Candy Käsemann», das du für dein Stück geschrieben hast.
Ja, ich finde, das passt gut in den Kontext, dass Betrug stattfindet, obwohl er für jeden erkennbar ist. Es ist offensichtlich, und es findet trotzdem statt. Das gefällt mir. Niemand kann sich rausreden. Wir sind alle dabei. Wir sind alle verantwortlich.


Wie lässt sich die Molière’sche Kritik an feudaler Repression und höfischer Gesellschaft in deine vehemente Kritik am Kapitalismus überführen?
Ich denke, genauso, wie ich es in «Tartuffe oder das Schwein der Weisen» gemacht habe. Man kann es wahrscheinlich auch anders machen, aber dann würde es nicht so funktionieren, wie es hier funktioniert. 

 

Elmire spricht in diesem Zusammenhang von der Ausstülpungslogik des Kapitalismus. Was verstehst du darunter?
Der Kapitalismus ist eine produktorientierte Fetischkultur, die wohl nur sexuell verständlich ist. Im «Kapitalismus» oder in «der Popkultur» – ich finde, man kann diese Begriffe synonym verwenden – geht es um die Herausbildung, um die Ausstülpung von Produkten durch menschliche Betätigung. Es muss was dabei herauskommen. Selbst eine Beerdigung ist ja ein Produkt. Oder eine Schulbildung. Die Welt ist ein Material, aus dem Produkte ausgestülpt werden. Die Ausgestülptheit produziert dann Sinn, Erfolg und gelingendes Leben. Betrachtet man parallel dazu die Männlichkeitsfixierung, die dieses Gesellschafts- und Wirtschaftssystem aufweist, dann kann man die Penishaftigkeit des Kapitalismus nicht übersehen. Wenn ich mich bei der Frage, ob der Kapitalismus im systemischen Sinne männlich oder weiblich ist für ein Entweder-oder entscheiden müsste, dann würde ich sagen, dass der Kapitalismus männlich ist. Gut zu wissen, dass gerade ein neuer, kraftvoller Feminismus kommt, und «die Frauen» den ihnen gebührenden Platz erobern. Es gibt also in Zukunft nicht nur Kapitalisten, sondern genauso viele Kapitalistinnen. Herrlich! «Das Sexuelle» ist die letzte Energie, die man noch heben kann. Wie die letzten unterirdischen Öl- oder Energiefelder, die es noch gibt. Wir werden in der Zukunft noch viel erleben im Zusammenhang mit der Pornografisierung des Marktes. Mit der Digitalisierung des Marktes kommt die Pornografisierung des Marktes. Da sind wir ja schon mittendrin. Tartuffe ist unterwegs im Pornfeld. Für ihn hat «das Sexuelle» gar nichts Sexuelles mehr. Für ihn ist es reine Energie.

 

Die Mono- und Dialoge, die deine Protagonist*innen führen, produzieren Missverständnisse am laufenden Band, münden in Unterstellungs- und Smalltalk-Endlosschleifen. Du scheinst den Bogen der Phrasendrescherei gern zu überspannen. Worauf zielt diese radikale Kommunikationskritik?
Theater per se ist ja Kommunikationskritik. Man stellt jemanden auf ein Holzgestell und sagt ihm, er soll sich da hinstellen und irgendetwas sagen, was so aussehen soll, als ob er es sagen würde, und tatsächlich stellt der Typ sich dann auf das Holzgestell und sagt es dann und man guckt sich das an und denkt: «Hey guckma, da steht einer auf einem Holzgestell und sagt was.» Das ist wunderschön. Aber auch zum Verrücktwerden. Die Ursituation des Theaters kracht natürlich in das Modell des «wahrhaftigen Lebens». Verrückterweise assoziieren wir alle aber mit «dem Theater» und mit «dem Schauspieler» Wahrhaftigkeit. Die dann vielleicht sogar tatsächlich entsteht in ihrer ganzen Gemachtheit und Verlogenheit. Das ist von vornherein schön durcheinander und kaputt, sodass die Hoffnung entsteht, dass man vielleicht irgendetwas begreift oder erkennen kann. Vielleicht ist das unwahre Theater das beste Medium, um «der Wahrhaftigkeit» auf die Spur zu kommen.

 

Deine Texte denken die Dinge gern ums Eck, spielen diese gleichsam über die Bande – und sind dadurch trügerisch: Gerade wenn man meint, nur noch Nonsens zu hören, drängt sich plötzlich so etwas wie Sinn ins (Sprach-)Bild. Würdest du dieser Beschreibung deiner Methode zustimmen?
Ja, dem kann ich zustimmen. Mmmh ... Aber wenn ich es noch mal denke, dann finde ich es nicht treffend. Bei mir gibt es keine Bande, sondern immer nur Elfmeter, die alle reingehen.

 

Deine Figuren ergehen sich in Selbstbespiegelungen, Befindlichkeitsdiskursen und Egozentrikveranstaltungen. Siehst du für die Welt der Selbstoptimierer*innen und Sozialnetzwerker* innen derart schwarz?
Nein, ich sehe nicht schwarz. Die Sonne scheint hell. Wir sind am Leben. Unser System hat in seiner Gewurschtelbasiertheit eine große Stärke und Stabilität. Aber unter der Membran der Außenhaut ist es überkomplex und rätselhaft. Aber was sollte daran schlecht sein? Niemand versteht es so richtig. Das wäre auch zu viel verlangt und unsexy. Der Ablauf von Zeit mit dem darin eingehängten Geschehnis von
Ereignissen findet irgendwie statt und wir sind Teil davon. Wir können uns tot stellen oder jemanden totschlagen. Das ist nicht ratsam und wir tun es eher nicht. Wir müssen es bequatschen und bequatschen und bequatschen.

 

Dennoch gehen deine Figuren im Lärm der Hyperkommunikation und in der konfliktfreien Zone der Uneigentlichkeit verloren. Ist diesem gesellschaftlichen Befund nicht auch große Ratlosigkeit und Pessimismus eingeschrieben?
Nein, das finde ich ganz und gar nicht. Ich mache Theater. Und beim Theater geht es darum, dass Leute zusammenkommen und dabei sind, wie was passiert. Und wenn es das Ratloseste und Pessimistischste wäre, was da passierte: sie kämen zusammen. Die einen machen was, und die anderen sind dabei. Es kommen Menschen zusammen. Das ist schon mal eine ganze Menge. Alles echte Wesen. Alle mit Blut drin und Gefühlen und Leben. Das ist optimistisch.

 


Wie findest du zu deinen Texten? Analysierst du Gegenwartsjargons und Alltagssprachsplitter, um diese zu deiner sehr spezifischen Kunstsprache zu verdichten? Oder geht das instinktiver? Dein Schreiben ist grundsätzlich, nicht nur in diesem Fall, humoristisch gefärbt. Was bindet dich so eng an das Komische?
Mit Humor ist es lustiger. Könnte sein, dass es damit zusammenhängt. Und es ist schon so, dass es eigentlich nur Sinn macht, wenn man darüber lacht. Aber es gibt schon auch Texte oder auch Theaterstücke, bei denen ich wenig Humor spüre. Zum Beispiel «Das Abhandenkommen der Staaten», das ich zum Thema 1989 / Fall der Mauer für das Theater Leipzig schrieb. «Sonnendeck» ist auch irgendwie gar nicht lustig. Aber das sehen die Leute manchmal anders, die nicht in meinem Kopf wohnen, sondern im Publikum sitzen. Eine bewusste Analyse von Sprache, Jargon und Alltag betreibe ich nicht. Der ganze Talk durchströmt meinen Kopf wie die Leute die Fußgängerzonen am verkaufsoffenen Samstag. Das bin dann wohl ich, der sich runterschreibt, wenn sich die Texte oder Stücke zusammenfinden. Ich habe keinen Abstand zu meinen Figuren, die laufen alle durch mich durch.

 

In den sprachlichen Repetitionsmustern deiner Figuren liegt auch Zermürbungspotenzial. Siehst du die Kompromisslosigkeit bestimmter Wiederholungsexzesse auch als sanfte Provokation deines Publikums?
Oh ja, Zermürbungspotenzial! Das ist wunderbar. Das Leben ist voll davon. Mir kann es manchmal nicht lang genug dauern oder nicht blitzartig genug sein. Auf meinen Konzerten gibt es Momente, in denen ich spüre, dass jetzt die Platte einen Sprung haben muss und sich festhaken muss an immer demselben Wort oder derselben Phrase. Das wiederhole ich dann wie meine eigene Maschine. Dann entkernt sich das Material. Aus Sätzen werden irgendwann nur noch Lautfolgen, die gar nichts mehr mit sich selbst zu tun haben. Sie setzen sich neu zusammen, und es entsteht ein für sich selbst funktionierender, neuer abstrakter Sound. Das mag ich gern, wenn Worte ihre Bedeutung verlieren oder ändern. Oder Themen ihre Bedeutung verlieren, oder Dialoge. Aber ich fühle dann manchmal, dass etwas anderes zum Vorschein kommt, eine tiefer liegende Bedeutung, die von vornherein eigentlich alles überlagerte. Was passiert, wenn jemand hundertmal «Ich sag dazu nichts» sagt? Ich mag es, wenn man die Erträglichkeitsvorstellungen antastet, wenn man an der Aufmerksamkeitsspanne herumprockelt ... ah, da geht noch was ... ah, das war jetzt zu viel ... ah nee, das war nicht zu viel, jetzt geht es ja erst richtig los ...

 

Musik begleitet diese Theaterarbeit: Wie hast du die Songs konzipiert und dem Text nebengereiht?
Die Lieder fingen irgendwann an zu singen, während ich schrieb, etwa das «Chipslied» oder «Ich als Lutschbonbon im Lande der Lutscher» oder das «Umentscheidungslied». Das «Umentscheidungslied» gab es zuerst für eine Theaterproduktion, jetzt singe ich es auch auf den Konzerten. Auf dem neuen Album «WENN WIR ALLE ANDERS SIND» ist es auch drauf. Ich finde, es ist ein HIT. Es ist für mich zu einem Großmotto geworden, das mir leichtfällt, anderen Menschen aufzudrängen («Ich glaub, wir hamm was falsch gema-hacht, wir müssen uns wieder um-entschei-de-hen»). 

 

Wie definierst du dich als Künstler? Ist dir dein Leben als Musiker gleichbedeutend wie jenes, das du als Schriftsteller, Kolumnist oder Dramatiker führst?
Lieder, Texte, Stücke, Kolumnen, Konzerte, das hängt alles miteinander zusammen, verkocht alles denselben Brei. Mir ist das alles gleichbedeutend.

 

Nimmst du Bühnentexte grundsätzlich anders in Angriff als deine literarischen Schriften oder Pop-Lyrics?
Man hat schon ein anderes Bild im Kopf, wenn man für das Theater schreibt, als wenn man einen Songtext macht, den man dann selber singen muss. Man hat ein anderes Bild im Kopf. Man denkt an die Leute, die auf den Holzgerüsten stehen, die sich Bühne nennen. Da stehen dann richtige Menschen und sagen deine Worte auf. Zuerst sitzen sie in Sitzkreisen in Vorbesprechungen, dann stehen sie auf Probebühnen auf Theaterproben, dann in Generalproben, dann pusten sie sich auf und pusten die Premieren weg, dann werden sie zu Alltagsarbeitern im Spielbetrieb. Ich weiß, dass ich ihnen allen leibhaftig begegnen werde. Von Aug zu Aug. Ich werde ihnen in die Gesichter schauen und ich werde ihre Lebenszeit gebucht haben. Das Gefühl von Egalheit mag sich nicht einstellen. Und der Satz, wonach das Papier geduldig wäre, passt nicht, weil die Menschen ungeduldig sind. Dem Papier ist alles egal, dem Menschen nichts. Das hat man schon im Kopf.