«Kunst bleibt! Sie ist nicht Schöpfung. Sie ist Urquell!»

Ein Gespräch mit dem Regisseur Jan Höft

Mit Gedanken wie diesen kämpfte August Stramm in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Mit einer installativen Inszenierung mit Texten aus dem Œuvre des expressionistischen Dichters ist das Residenztheater aktuell im Neuen Atelier der Villa Stuck zu Gast. Ein Gespräch mit dem Regisseur Jan Höft über seine Begeisterung für Lyrik, warum hier eine Frau von der Front erzählt und was mit der Aufführung passiert, wenn vor der Tür plötzlich Antikriegsdemonstrationen stattfinden.


 

Sina Corsel: Jan, «STRAMM Eine Intervention» ist deine erste eigene Inszenierung am Residenztheater. Worin lag der Reiz, dich mit expressionistischer Lyrik zu beschäftigen?
 

Jan Höft: Erst einmal hat mich die Radikalität der Sprache interessiert. Die Wortneuschöpfungen erschließen sich in ihrer eigenen Logik und haben eine Kraft, Assoziationen zu erzeugen. Damit schaffen seine Texte, was die in unserer Gesellschaft inhärente Sprache bei mir nicht schafft: Gefühl eins zu eins in Sprache übersetzt mit einer Eindrücklichkeit zu transportieren.
 

Corsel: Was war der Reiz, die Gedichte auf die Bühne zu bringen?
 

Höft: Stramms Lyrik löst sich erst durch das Hören oder Lautlesen ein. Also dachte ich, ich möchte diesem doch zu unbekannten Autor einen eigenen Abend widmen. Die Assoziationen, die sich beim Hören des Textes einstellen, wollte ich in ihrem Spektrum durch Valerio Tricolis Musik noch erweitern. Wie schaffe ich es, Stramms Worte und mich als anwesende Person in einem Erlebnis verschmelzen zu lassen?
 

Corsel: In Anbetracht der aktuell dominierenden Nachrichten, komme ich als Zuschauerin schon mit einer ganz anderen Sensibilisierung in die Vorstellung. Stramms Blick auf den Krieg kippt zwar im Verlauf des Ersten Weltkriegs, aber seinen Worten folgt man bisweilen mit innerem Widerstand. Das Militär war seit seinem Freiwilligendienst konstanter Bestandteil seines Lebens. Stramm war später, wie die meisten, begeistert in den Ersten Weltkrieg gezogen. Was vermitteln seine Kriegsgedichte?
 

Höft: Stramm schrieb am 6. Oktober 1914 in einem Brief an Nell und Herwarth Walden: «In mir weints und außen bin ich hart und roh (…). Ich möchte morden morden dann bin ich wenigstens eins mit dem ringsum dann habe ich wieder Grund und Boden dann bin nicht so furchtbar allein so in der Luft ohne Flügel. Wo ist der Prediger des Mordes der das Evangelium predigt des Mordes des Mußmordes. Morden ist Pflicht ist Himmel ist Gott. Rasen. (…) Quatsch. Schleim. Jauche. (…) Ich dichte nicht mehr alles ist Gedicht umher. (…) Ist das meine Sehnsucht? Nein und ja und nein! Es ist alles nicht. Wahr und alles Lüge! Infam.»
 

Nach der späten Anerkennung als Autor, zu einem Zeitpunkt, als er endlich im künstlerischen Milieu angekommen ist, wird Stramm aus einem paradiesischen Zustand in die Grausamkeiten des Kriegs, wie er erkennen musste, gespuckt: Die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, totes Land, das erst durch nachrückende Soldaten wiederbelebt wird und eigentlich nur den Vorgang des Sterbens am Leben hält. Stramm war sehr hin- und hergerissen zwischen Heroismus und Grauen, zwischen Nichtverstehen und verstehen müssen um handlungsfähig zu bleiben. Schließlich musste er auch dutzende Soldaten befehligen.
 

Corsel: Cathrin Störmer spricht diese Texte, die dezidiert aus der Perspektive eines Mannes im Krieg stammt. Warum hast du dich für eine Schauspielerin entschieden? Liegt es daran, dass heute auch Frauen in den Krieg ziehen?

Höft: Erst einmal schätze ich Cathrin Störmer als Schauspielerin sehr. Wie sie Sprache immer wieder neu entdeckt, ist beeindruckend. Dadurch, dass Kriege seit der Antike weitgehend von Männern initiiert und praktiziert werden, war mir wichtig, nicht mit einem Schauspieler direkt das Bild eines Soldaten entstehen zu lassen und ins Zentrum der Wahrnehmung zu stellen. Auch wollte ich nicht August Stramm als Person auf die Bühne bringen, sondern habe versucht, mich diesen Symbolen Mann = Soldat = August Stramm zu entziehen. August Stramms Werk ist außerdem nicht nur vom Krieg geprägt. In der Brutalität des Kriegsgeschehens werden durch kontrastierende Erinnerungen oder Rückbesinnungen auf geliebte Personen, Feste und Naturerfahrungen die existenziellen Fragen des menschlichen Daseins aufgeworfen. In seinen Texten wird nicht nur Krieg raum- und zeitlos.
 

Corsel: Valerio Tricoli erweitert Cathrin Störmers Sprechen um einen Klangraum, der an Maschinen, an langsam fahrende Züge, an Regen und an Gewehrfeuer denken lässt.
 

Höft: Andere Menschen denken vielleicht bei denselben Klängen an Wind, Insekten und an das Pfeifen in den Ohren, wenn man übernächtigt ist. Wenn man dann noch Cathrin Störmers Sprechen an sich ranlässt, ergeben sich mit der Musik wieder neue Assoziationen und Räume. Für mich öffnet es einen physischen Raum, andere Menschen hält es vielleicht gefangen. Es lässt uns aber definitiv alle kreisen.
 

Corsel: Für Stramms metaphysisches Denken war Licht ein wichtiges Element: Helles Licht stand für Klarheit, Wahrheit und letztlich für die Erlösung der Menschheit. Das natürliche Licht begriff er als Kontakt zum Himmel oder zum Transzendenten. Über Cathrin Störmer hängt ein riesiger weißer Lampenschirm. Wie eine milchige Glocke ist er zunächst komplett über sie gestülpt. Licht von außen und innen erzeugt eine dritte Ebene. Habt ihr euch an Stramms Deutungen von Licht orientiert?
 

Höft: Jonas Vogts Bühnenentwürfe haben eigentlich nie mit Symbolen oder Metaphern inhaltlicher Natur zu tun, sondern mit Assoziation und dem tatsächlichen Raum. Uns war klar, dass das Licht szenisch eine wichtige Rolle spielen soll. Bei der Begehung ließ ich meinen Laptop versehentlich unter einem Spot stehen, schon war er ein Exponat. Wie geht man um mit dieser überdeutlichen Sichtbarkeit, wie schafft man hier eine Unsichtbarkeit?
 

Corsel: Als du dich für eine Arbeit über die Gedichte von August Stramm entschieden hast, war Krieg für die meisten von uns hier in München vermutlich etwas, das nur in der Ferne geschieht. Wie seid ihr im Probenverlauf mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine umgegangen? Hatten die Ereignisse Auswirkungen darauf, wie ihr mit den Texten umgeht? Wie war es, diese Texte zu proben, zu hören und mit der Musik in einen Dialog zu bringen? Gab es Sorge, bestimmte Sätze oder Wörter in dieser Situation nicht sagen zu können?
 

Höft: Krieg gab es immer und wird es wohl immer geben. Deshalb bleibt August Stramm aktuell. Trotzdem ist man gerade für den Krieg als Ereignis besonders sensibilisiert. Wirklichen Einfluss auf inhaltliche Entscheidungen hatte das jedoch nicht. Man merkt aber, dass Cathrin Störmers Figur als eine andere wahrgenommen wird, als noch vor zwei Monaten. Ich glaube schon, dass sie durch die derzeitigen Nachrichten und durch die Bilder von den Ereignissen klarer situiert wird.

 

Das Gespräch mit Jan Höft führte Sina Corsel.