Spaziergang am Rande des Weltuntergangs

EIN GESPRÄCH MIT CLAUDIA BAUER

 

«Valentiniade. Sportliches Singspiel mit allen Mitteln» ist eine Hommage an Karl Valentin, die sich nicht entlang seiner Biografie ausrichtet. Welche künstlerischen Überlegungen waren stattdessen ausschlaggebend für diese Stückentwicklung?

Es handelt sich dabei um so etwas wie «Sekunde durch Hirn», also um einen assoziativen Bilderbogen, der sich zwar an Lebensthemen und -erfahrungen von Karl Valentin entlanghangelt, aber eben nicht linear, sondern eher wie etwas, das einem in den letzten Lebensminuten durch den Kopf schießt. Unsere Grundidee war, zu überlegen, was Karl Valentin durch den Kopf gegangen sein mag, als er damals in diesem Theater eingesperrt war – wobei wir ja gar nicht wissen, ob das eine Legende ist oder nicht. Die Legende jedenfalls besagt, dass er nach einem seiner Auftritte im «Bunten Würfel», einem kleinen Münchner Theater, vergessen und versehentlich eingesperrt wurde. Wenige Tage später ist er an Bronchitis, aber eigentlich an gebrochenem Herzen, gestorben.

Wie darf man sich deine Zusammenarbeit mit dem Autor Michel Decar vorstellen? Was war seine Aufgabenstellung?

Für mich war wichtig, eine aktuelle Facette von Karl Valentin zu entwerfen. Damit die Inszenierung nicht nur aus Texten Karl Valentins besteht, die natürlich Kinder ihrer Zeit sind, haben wir Michel Decar als Gegenwartsdramatiker der jüngeren Generation und gebürtigen Bayern angesprochen.

Wie verbinden sich die Monologe Michel Decars mit dem dramatischen Material Karl Valentins?

Da wir Einakter und Szenen von Karl Valentin verwenden, dienen die Monologe Michel Decars zur Innenschau, um die einsamen Momente Valentins zu zeigen, in denen er über die Welt, über seinen Hass auf die Welt, über seine Angst vor der Welt, über seine Angst vor dem Reisen, über seine Angst vor dem Mond, über seine Angst vor Bazillen sinniert, denn Valentin war ein angstgetriebener Mensch. Auch von Valentin gibt es Angstmonologe, die Michel Decar in die Gegenwart verlängert hat.

Was interessiert dich persönlich an Karl Valentin?

Mein persönlicher Bezug ist erstmal, dass mein Großvater, der Psychiater in München war, einer der achtzig oder noch mehr behandelnden Nervenärzte von Karl Valentin war. Das wurde mir zumindest als Kind so erzählt. Und natürlich: Ich komme aus Bayern, Karl Valentin kommt aus Bayern. Besser gesagt: Karl Valentin hat ja keine bayerischen Gene, aber er ist der überzeugteste Münchner ever gewesen. Ich war ziemlich lang überzeugte Landshuterin, hatte also mit München nicht so viel am Hut, aber dieses bayerische Mindset, wie die Schauspieler*innen so schön sagen, das ist mir und Karl Valentin natürlich in die Mundartwiege gelegt.

Du hast dich dagegen entschieden, Karl Valentin von einer Person darstellen zu lassen. Stattdessen arbeitest du mit einem Ensemble von acht Schauspieler*innen. Warum?

Ich halte das für interessanter, weil jede*r Schauspieler*in Karl Valentin eine andere Facette gibt. Und Karl Valentin kann man genauso wenig verkörpern wie etwa Charlie Chaplin. Beide sind Komiker, die eigentlich nicht nachspielbar sind.

Wie sehr ist Karl Valentin ein Kind seiner Stadt und seiner Zeit?

Karl Valentin erlebte als Erwachsener zwei Weltkriege, wobei er aufgrund seiner körperlichen Insuffizienzen nicht an die Front musste. Die ständigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche haben seine künstlerische Entfaltung stark geprägt. Gleichzeitig ist es aber auffällig, dass er immer versuchte, die Politik aus seiner künstlerischen Arbeit rauszuhalten. In vielen Texten schwingt allerdings auf ganz subtile Art und Weise eine Trauer mit, die darauf hindeutet, dass er den Glauben an die Gesellschaft verloren hatte.

Wie sehr ist sein Werk als Autor auch an ihn als Interpret gekoppelt?

Viel zu stark. Das ist auch das Problem, wenn man sein Werk auf die Bühne bringen will. Seine Art des Denkens, des Aussehens oder auch seine Herkunft – der Kleinbürger, der sich durchkämpfen muss – sind beinahe untrennbar an seine Person, seine Biografie und seine Körperlichkeit gekoppelt. Valentin war kein Schauspieler im eigentlichen Sinn, weil er ja sich selbst verkörperte. Das kann man aufbrechen, aber man muss es eben auch aufbrechen.

Ist Karl Valentin ohne seine kongeniale Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt denkbar? Und wie sehr wird in «Valentiniade» ihrem kreativen Anteil am gemeinsamen Erfolg Rechnung getragen?

Er ist denkbar ohne Liesl Karlstadt, aber schwer. Es gab ja immer wieder Zeiten, wo sie getrennt waren, weil Liesl Karlstadt sich erholen musste von Krisen, die durchaus von Karl Valentin ausgelöst worden sind. Also er ist denkbar ohne Liesl Karlstadt. Er war auch Solokünstler und konnte ebenso mit anderen Leuten arbeiten. Valentin war ein Improvisator. Er war der Mann mit den verrückten Einfällen. Karlstadt hatte natürlich sehr viele Einfälle, war aber die Sortierende und die Fixierende. Ohne sie sei er wahnsinnig ungern aufgetreten, weil sie ihm auch jeglichen Text soufflieren musste – behaupteten zumindest Zeitgenoss*innen. In «Valentiniade» gibt es eine Szene über Liesl Karlstadts und Karl Valentins Verhältnis zueinander, ich wollte das aber nicht zum Thema unseres Abends machen. Mich interessiert Karl Valentin als tragische Figur.

Karl Valentin galt ja vielen namhaften Künstler*innen als Referenz.

Karl Valentin hat nicht nur deutsche Autoren wie Bert Brecht beeinflusst, sondern etwa auch Samuel Beckett für «Endspiel» oder «Warten auf Godot». Vielleicht schätzten sie alle diese Stimmung, in der Valentin am Rande des Weltuntergangs spazieren ging und zugleich versuchte, diese Tatsache zu ignorieren. Und wenn man Karl Valentin wiederum durch die Beckett-Brille betrachtet, bekommt er eine ganz andere Tiefe, die ihn sofort aus dem Bayerischen katapultiert.

Was darf sich das Publikum von einem «sportlichen Singspiel mit allen Mitteln» erwarten?

Wir legen großen Wert auf Körperlichkeit – auf die Körperlichkeit Karl Valentins, aber auch auf die, die man braucht, um Slapstick zu spielen. Es ist ein sehr körperlicher und tänzerischer Abend. Und es wird sehr viel gesungen. Ich habe den bayerischen Komponisten Michael Gumpinger als meinen musikalischen Partner, der viele Songs geschrieben und Texte von Karl Valentin als Couplets à la Valentin vertont hat. Es werden alle Mittel eingesetzt: mit Maske, ohne Maske, mit Singen, ohne Singen, mit Chor, ohne Chor. Wir haben eigentlich alles dabei, denn ein Theaterabend muss immer spartenübergreifend sein.

 

Diesen Text finden Sie im Programmheft zu «Valentiniade. Sportliches Singspiel mit allen Mitteln», erhältlich an der Theaterkasse, in den Foyers oder als gekürzte Onlineversion zum Download hier.