«Erfolg» von Lion Feuchtwanger – die Gegenwart im Spiegel der Geschichte!

Ein Interview mit Regisseur Stefan Bachmann

Lion Feuchtwanger sammelt in den 1920er Jahren wie ein Chronist sämtliche Zeitungen, die in und rund um München erscheinen. Er durchforstet sein Material akribisch. Dabei interessieren ihn die lokalen Geschichten genauso wie die globalen Ereignisse. Er liest Berichte über eskalierende Bierfeste und nächtliche Raufereien, er verfolgt den Klatsch und Tratsch des bayerischen Großbürgertums und er spürt den Sorgen des kleinen Mannes nach. Bis ins Detail verfolgt er aber auch die großen Mechanismen der sich neuformierenden Nachkriegsgesellschaft: da ist die Wirtschaftslobby, die ihren Einflussbereich sukzessive ausbaut, da ist die Justiz, die vermehrt politisch motiviert agiert und da ist eine Politik, welche die traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs als Hebel nutzt, um ihrer eigenen Radikalisierung ordentlich Schubkraft zu verleihen. Feuchtwanger sieht einen komplexen Querschnitt seiner unmittelbaren gesellschaftspolitischen Gegenwart vor sich. Er nimmt dieses Bild und schafft daraus mit viel Raffinesse, Tiefgang und Humor seinen Schlüsselroman «Erfolg. Ein Großereignis, denn der Roman ist einmaliges Zeitdokument und zeitloser Gesellschaftsspiegel zugleich.

 

Feuchtwanger schreibt den «Erfolg» 1930. Er sitzt in Berlin und guckt auf München, das er wegen des aufkeimenden Nationalsozialismus verlassen hat. Und obwohl er die Situation so genau beschreibt und durchleuchtet, kann er sich nicht vorstellen, dass die Nazis wirklich die Macht ergreifen werden. Dieser Irrtum von Feuchtwanger stellt uns doch auch heute vor zentrale Fragen: Was ahnen wir eigentlich, wenn wir auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse blicken? Und was bringt uns dazu, das was wir erahnen, möglicherweise nicht richtig wahrhaben zu wollen? Feuchtwanger ist ja selbst gebürtiger orthodoxer Jude und reflektiert in späteren Werken genau dieses Gefühl. Dieses Gefühl, dass der bahnbrechende Nationalsozialismus samt seinen brutalen Auswüchsen einfach so ungeheuer ist, dass er die eigene Vorstellung übersteigt und daher – aus der Zeit heraus – gar nicht für möglich gehalten wird.

Ja, es war einfach zu absurd, um wahr zu sein. Ohne den Vergleich überstrapazieren zu wollen, war es bei Trump ähnlich. Noch am Abend bevor er zum Präsidenten gewählt wurde, gaben ihm ausgewiesene Experten überhaupt keine Chance.

Feuchtwanger schaut mit einer Art Hassliebe auf die damalige Stadt München und auf ihre Bewohner ...

... und beschreibt, wie sich fast alle Figuren über kurz oder lang aus unterschiedlichen Gründen dieser Bewegung der «Wahrhaft Deutschen» anschließen. Also Feuchtwanger sieht tatsächlich was passiert und dann beschreibt er den Putsch von Kutzner alias Adolf Hitler als ein großes, groteskes Spektakel.

Theater eigentlich!

Ein vollkommen vergurkter Versuch, sich in Szene zu setzen.

Ja, richtig. Apropos Theater: Wir haben ja verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, wie wir diesen Rupert Kutzner mit seinen «Wahrhaft Deutschen» auf der Bühne erzählen wollen. Uns wurde klar, dass wir keinen weiteren personifizierten Hitler zeigen wollen. In unserer Version gucken wir durch die Augen des Schauspiellehrers Konrad Stolzing auf die Figur des Rupert Kutzner.

Was eine originellere Perspektive für die Bühne ist, glaube ich. Den Hitler-Hampelmann haben wir ja nun wirklich oft gesehen. Mal besser, mal schlechter. Aber irgendwie ist es ja dann doch immer ein bisschen das gleiche. Aber, dass er von seinem Schauspiellehrer beschrieben wird, der ihn auf seine Rolle trainiert hat, das interessiert mich. Hitler wird auf dem Theater als eine Figur verhandelt, die sich mittels der Technik des Theaters überhaupt erst in die Figur Hitler verwandeln konnte.

Dem Stolzing geht es vor allem um Wirkungsästhetik.

Genau wie in jedem Wahlkampf im Zeitalter der Coaches.

Wenn wir schon bei der Ästhetik sind, lass uns kurz über die Bühne sprechen. Wir haben mit der Fassung versucht eine Art Bouillonwürfel aus dem Roman zu extrahieren, wofür die Setzung durch das Bühnenbild wesentlich war.

Ja, irgendwann gab es diese Idee des Dualen, auch auf der Bühne. Der eine Strang spielt ausschließlich im Gefängnis.

Das ist der Erzählstrang, der die Geschichte von Martin Krüger behandelt.

Der andere Strang dagegen rankt sich um Johanna Krain, die sich für diesen Martin Krüger einsetzt. Sie will an die Leute rankommen, die auf die bayerische Justiz Einfluss haben. Nur die haben vielleicht die Chance, das Ganze politisch noch mal zu drehen und den unschuldig im Zuchthaus sitzenden Krüger rauszuholen.

Dafür wandelt sich das Bühnenbild und wir gehen mit Johanna Krain hinein in den Sumpf, den Dreck, den Bierdunst und den Spaß dieser bayerischen Gesellschaft ...

... in die Stadt München. Das München der 1920er-Jahre ist vielleicht nicht vergleichbar mit Berlin, aber wir befinden uns in einer Zeit – das ist die andere Seite zu der nationalsozialistischen Bewegung – die auch in München wahnsinnig aufregend ist. Eine zukunftsorientierte Zeit. Eine Zeit, die innovativ ist, in der die Menschen daran glauben, dass Fortschritt, Industrialisierung, Technologisierung ihnen ein besseres Leben verschaffen werden.

Nicht nur das! Auch die Rolle der Frau wird in diesen Jahren eine andere. Die Genderdiskurse und Genderfluidität, über die wir heute sprechen, waren schon in den 1920er-Jahren gegenwärtig. Das zeigt auch das Bildmaterial, mit dem wir während der Proben gearbeitet haben. Besonders deutlich wird das bei der Figur von Johanna Krain, die ja eine Affäre nach der anderen hat.

Dass ein männlicher Autor in dieser Zeit eine Frau beschreibt, die mit vielen unterschiedlichen Männern ins Bett geht, ohne sie zu einer Prostituierten zu machen, ist schon bemerkenswert. Feuchtwanger gibt Johanna die Freiheit, ihre Wünsche auszuleben. Und dann werden all diese liberalen Entwicklungen durch die Nazis und den Zweiten Weltkrieg zu einem jähen Ende geführt. In der Nachkriegszeit etablieren sich wieder festgefahrene Rollenklischees. Es dauert lange, bis man ...

...wieder in den 1920er-Jahren landet.

Ja, da sind wir wieder bei diesen mystisch aufgeladenen 100 Jahren Abstand.

 

Das Interview führte Dramaturgin Barbara Sommer.


Das Programmheft zu «Erfolg» ist erhältlich an der Theaterkasse, in den Foyers oder als gekürzte Onlineversion zum Download hier.