«HEUTE INTERESSIERT ES MICH, BLÖDSINN ZU FORMULIEREN»

Am 10. Januar dieses Jahres verstarb der Dramatiker, Filmemacher, Regisseur und Maler Herbert Achternbusch im Alter von 83 Jahren in München. Der häufig bemühte und nur selten zutreffende Titel «Universalkünstler» hatte bei Achternbusch seine uneingeschränkte Berechtigung. Seine Theaterstücke, die Filme wie auch seine Gemälde und Skulpturen zeugen von seiner unverwechselbaren Handschrift, die von einer Hassliebe zu seiner bayerischen Heimat geprägt ist, wie auch von einer großen Portion Humor, der in seiner Abgründigkeit und Absurdität an den großen Irischen Dichter Samuel Beckett erinnert.

Suchte man ein Paradebeispiel für Achternbuschs Schreiben, ließe sich auf jeden Fall «Der Stiefel und sein Socken» aus dem Jahr 1993 nennen. Aber es ist auch noch weit mehr: Es ist eines der persönlichsten Stücke Achternbuschs, dessen Hauptfigur nicht von ungefähr ebenfalls Herbert heißt. Auch er ist Dichter, der in seinem Leben allerdings nur ein einziges Gedicht zustande gebracht hat. Der Lebensmensch an seiner Seite im Stück heißt Fanny, im wahren Leben war es die Schauspielerin Annamirl Bierbichler. Mehr als nur langjährige Partnerin war sie bis zur ihrer Trennung die kongeniale Interpretin seiner Texte und spielte Achternbusch mit angeklebten Bart im Film «Rita Ritter» (1983) sogar selbst.

So betrachtet ist «Der Stiefel und sein Socken» einerseits die spielerisch-absurde Hommage an die reale Beziehung, andererseits zeigt Achternbusch darin auch deren Toxizität. Beide können nicht miteinander, aber auch nicht ohne den jeweils Anderen. Zwischen beiden herrscht eine verbale wie auch körperliche Abhängigkeit, die einzig im gemeinsamen Spiel eine Form von Zusammensein ermöglicht. Es klingt zunächst zwar wie eine bittere Zusammenfassung ihrer Beziehung, wenn Herbert am Ende sagt «Immer warst du da, Fanny. Immer wäre es mir lieber gewesen, du wärst nicht dagewesen», doch schwingt hier auch eine Sehnsucht und Zärtlichkeit mit, in der sich Herberts Angst vor dem Alleinsein widerspiegelt. Für ihn ist ein Leben ohne Fanny, als stünde der Stiefel plötzlich ohne seinen Socken da.

Bei der Uraufführung 1993 führte Herbert Achternbusch selbst Regie. Während den Proben zu dem Stück schrieb er folgenden, leicht gekürzten Text, der so typisch und gleichzeitig so unverwechselbar «Achternbusch» ist:

Heute interessiert es mich, Blödsinn zu formulieren. Und ich kann nicht ausweichen, dass ein Krieg mich von der Konzentration abhält. Da ist gerade einer vorbei. Auch vis-à-vis von der Baustelle stört nicht das Ausländergeplärre noch das Einheimischengegrunze, wenn sie wieder drei Wochen betonieren, was der Presslufthammer dann in einer Woche beseitigt. Schließlich mache ich das Fenster auf, damit der Lärm meiner Schreibmaschine hinaus dringt, denn es ist Sonntag. Somit bin ich der einzige, der Lärm macht in der Burgstraße, bis die Besoffenen aus dem Zerwirkgewölbe quellen, jodeln und brodeln. Von der Peterskirche schlägt es drei Uhr Nachmit­tag. Tief geschlafen wachte ich auf mit vielen Zungen an einem Hirn, vielen Sät­zen an einem Strick. Noch unbekannt wie das Blau des Himmels, wenn das neue morgendliche Hoch den Dunst aus den Tälern, den Smog aus den Städten, die Mücken aus den Larven und das Gras in die grüne Revolution zu ziehen sucht – vergeblich. Quatsch! Keine der Figuren in meinen Stücken könnte derart reden. Meine Teekanne? Ja – Neulich war ich nach Jahren wieder in Andechs, Schnee auf Haupt und Land­schaft. Doch wieder in der Nacht rannte, hetzte ich über das grüne, sumpfige Umland, bessere Einfälle für das Stück zu finden. Doch, wenn man das Land kennt – und mich, habe ich alles gemacht, was geht, sage ich mir heute. Tja, wenn man die Qualen verwandeln könnte, so verfolgen einen die Schatten die­ser Qualen. Und ich kann mir doch nicht wünschen, dass eine Inszenierung das Befreite in seine Herkunft, ins Bayerische, zurückverbannt. Ja, selbst das Deut­sche bringt noch zu viel Unglück der Geburt mit sich. Fremdsprachen könnten mich erlösen … Aber doch nicht von dieser Teekanne! Aus der ich durch mein idiotisches Unterfangen zwölf Scherben gewonnen habe. Längst ist das Wasser in der Teekanne erkaltet, und vergeblich habe ich mit Hammer, Messer und Faust versucht, sie in die drei Teile auseinanderzuneh­men, um jetzt wieder Wasser zu erhitzen, und schreiben heißt, alles liegen und stehen zu lassen. Aber mein innerer Blick bleibt auf die Scherben gerichtet, die sich nicht auseinandernehmen und besser zusammenfügen lassen. Die Zerrissenheit könnte nicht ausgeglichener sein: Breitenbach, die Grundsi­tuation, wird nichts mehr, schon ebenso wie Arizona. Aber dass der Orchideen­strauch blüht, kann ich mir selber nicht erklären. Geht auf eins meiner letzten Bilder zurück, das heißt «Wies kommt».


©Herbert Achternbusch: «Es ist niemand da.» S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1992.